Six Sigma (6σ) ist ein Managementsystem zur Prozessverbesserung, statistisches Qualitätsziel und zugleich eine Methode des Qualitätsmanagements. Ihr Kernelement ist die Beschreibung, Messung, Analyse, Verbesserung und Überwachung von Geschäftsvorgängen mit statistischen Mitteln. Dazu kommt häufig die Define – Measure – Analyze – Improve – Control (DMAIC)-Methodik zum Einsatz. Die Ziele orientieren sich an finanzwirtschaftlich wichtigen Kenngrößen des Unternehmens und an Kundenbedürfnissen.
Die Vorläufer von Six Sigma wurden in den 1970er Jahren erst im japanischen Schiffbau eingeführt, später in der japanischen Elektronik- und Konsumgüterindustrie. Six Sigma wurde 1987 von Motorola in den USA entwickelt.
Große Popularität erlangte der Six-Sigma-Ansatz durch Erfolge bei General Electric (GE). Damit verbunden ist der Name des Managers Jack Welch, der 1996 Six Sigma bei GE einführte. 2002 verlieh ihm dafür die International Society of Six Sigma Professionals (ISSSP) an der zweiten ISSSP-Leadership-Konferenz den ISSSP Premier Leader Award.
Heute arbeiten zahlreiche Großunternehmen mit Six Sigma – nicht nur in der Fertigungsindustrie, sondern auch im Dienstleistungssektor. Viele dieser Unternehmen erwarten von ihren Lieferanten Nachweise über Six-Sigma-Qualität in den Produktionsprozessen.
Im Produkt- und Prozessentwicklungsbereich kommen abgewandelte DMAIC- bzw. Prozessmanagement-Prozesse zum Einsatz, die unter dem Begriff Design for Six Sigma (DFSS, DMADV) zusammengefasst werden. Auch für den Bereich der Software-Entwicklung gibt es eine Variante von Six Sigma.
Etwa seit dem Jahr 2000 wird Six Sigma in vielen Implementierungen mit den Methoden des Lean Management kombiniert und als Lean Sigma oder Lean Six Sigma bzw. Six Sigma + Lean bezeichnet.
Im Zuge der Nachhaltigkeitsdiskussion von Prozessveränderungen ist seit 2005 zunehmend das Prozessmanagement (im Sinne von Management von Geschäftsprozessen im Tagesgeschäft, aber nicht vorrangig im Sinne der GPM-IT-Tool-Thematik) als Ergänzung zu den Projektmethodiken DMAIC und DFSS ein Thema.
Six-Sigma-Verbesserungsprojekte werden von speziell ausgebildeten Mitarbeitern geleitet. Das führungspsychologische Konzept von Six Sigma beruht auf Rollendefinitionen, die sich an den Rangkennzeichen (Gürtelfarbe) japanischer Kampfsportarten orientieren (vgl. Dan und Kyū):[2]
Daneben gibt es je nach Unternehmen auch „inoffizielle“ Gürtel-Farben (z. B. White Belts, Yellow Belts, Blue Belts). Diese sind unter dem Green Belt angesiedelt und übernehmen keine Projektleitungsaufgaben
Einer allgemeinen Richtlinie zufolge – in vielen Büchern zitiert – sollte in den Unternehmen pro 100 Mitarbeiter ein Black Belt aktiv sein (1%-BB-Regel).[4] Ein Master Black Belt soll etwa 20 (erfahrene) Black Belts betreuen. Auf jeden Black Belt kommen dann wiederum etwa 20 Green Belts.[4]
Im Rahmen der DMAIC-Phasen findet eine Vielfalt von Qualitätstechniken Anwendung, die Six Sigma von der bestehenden Qualitätsmanagement-Praxis übernommen hat. Die folgende Tabelle[5] stellt eine Übersicht dar:
Nr. | Kunden-Werkzeuge | Projekt-Werkzeuge | Schlankheits-Werkzeuge | Management-Werkzeuge |
---|---|---|---|---|
1 | Kano-Modell | Netzplantechnik | Standardisierung | Entscheidungsbaum |
2 | Strukturierung von Kundenanforderungen, genannt Anforderungsstrukturierung | Projekt- und Teambeschreibung | Wertstrom-, Engpass- bzw. Materialflussanalyse | Affinitätsdiagramm |
3 | House of Quality | CTQ-Analyse (Critical to Quality) | Wertschöpfungs- bzw. Verschwendungsanalyse | Beziehungsdiagramm |
4 | Verlustfunktion nach Taguchi Gen’ichi | Baumdiagramm | Flussdiagramm | Baumdiagramm |
5 | Kundeninterviews | Prozessfähigkeitsanalyse | Versorgungskettenmatrix | Matrixdiagramm |
6 | Kundenfragebögen | Kosten-Nutzen-Analyse | Rüstzeitanalyse | Matrix-Daten-Analyse |
7 | Conjoint-Analyse | Regelkarten | Red-Tag-Analyse | Netzplantechnik |
Nr. | Design-Werkzeuge | Grafik-Werkzeuge | Statistik-Werkzeuge |
---|---|---|---|
1 | Robustes Design, Parameterdesign | Prüfformulare (inkl. Messplan) | Statistische Versuchsplanung (DoE) |
2 | Quality Function Deployment (QFD) | Histogramm | Prozessfähigkeitsuntersuchung |
3 | TRIZ | Paretodiagramm | Regressionsanalyse |
4 | Konzeptauswahlanalyse nach Pugh | Ursache-Wirkungs-Diagramm, auch Ishikawa- bzw. Fishbone-Diagramm genannt | Multivariante Analyse |
5 | FMEA/VMEA | Grafischer Vergleich | Statistische Testverfahren (F-Test, ANOVA) |
6 | Fehlerbaumanalyse | Relationendiagramm | Wahrscheinlichkeitsnetz |
7 | Toleranzanalyse und Toleranzdesign | Regelkarten | Messsystemanalyse (Gage R&R) |
Die am häufigsten eingesetzte Six-Sigma-Methode ist der sogenannte „DMAIC“-Zyklus (Define – Measure – Analyze – Improve – Control = Definieren – Messen – Analysieren – Verbessern – Steuern). Hierbei handelt es sich um einen Projekt- und Regelkreis-Ansatz. Der DMAIC-Kernprozess wird eingesetzt, um bereits bestehende Prozesse messbar zu machen und sie nachhaltig zu verbessern.
In dieser Phase wird der zu verbessernde Prozess identifiziert, dokumentiert und das Problem mit diesem Prozess beschrieben. Dies geschieht meistens in Form einer Projekt-Charta. Diese beinhaltet außerdem:
Neben der Projektcharta werden meistens weitere Werkzeuge verwendet, so z. B.:
In dieser Phase geht es darum, festzustellen, wie gut der Prozess wirklich die bestehenden Kundenanforderungen erfüllt. Dies beinhaltet eine Prozessfähigkeitsuntersuchung für jedes relevante Qualitätsmerkmal.
Angewandte Werkzeuge in dieser Phase:
Zur Sicherung der Messmittelfähigkeit verwendet man in Six Sigma die sogenannte Messsystemanalyse (Measurement System Analysis), kurz MSA.
Ziel der Analysephase ist es, die Ursachen dafür herauszufinden, warum der Prozess die Kundenanforderungen heute noch nicht im gewünschten Umfang erfüllt. Dazu werden Prozessanalysen wie z. B. Wertschöpfungs-, Materialfluss- oder Wertstromanalysen, sowie Datenanalysen (Streuung) erstellt. Bei der Datenanalyse werden die in der vorigen Phase erhobenen Prozess- oder Versuchsdaten unter Einsatz statistischer Verfahren ausgewertet, um die wesentlichen Streuungsquellen zu identifizieren und die Grundursachen des Problems zu erkennen.
Angewandte Werkzeuge in dieser Phase:
Nachdem verstanden wurde, wie der Prozess funktioniert, wird nun die Verbesserung geplant, getestet und schließlich eingeführt. Hier werden Werkzeuge angewandt, die auch außerhalb von Six Sigma weit verbreitet sind, beispielsweise:
Der neue Prozess wird mit statistischen Methoden überwacht. Dies geschieht überwiegend mit SPC-Regelkarten. Darüber hinaus werden von der Fachliteratur weitere ausgewählte Methoden aufgeführt, die für eine nachhaltige Aufrechterhaltung von Verbesserungen wichtig sind, wie:
Die Six Sigma Roadmap zeigt einen Leitfaden zum chronologischen Einsatz der wichtigsten Werkzeuge.
Der Aufwand für ein DMAIC ist hoch, so dass sich die Umsetzung erst lohnt, wenn die zu erwartenden Wertschöpfungszuwächse aus dem verbesserten Prozess höher als 50.000 EUR ausfallen. Man strebt eine Projektlaufzeit von vier bis fünf Monaten an.
In aller Regel kommt es bei jedem Qualitätsmerkmal zu unerwünschter Streuung in den Prozessergebnissen. Auch der Durchschnitts- oder Mittelwert liegt oft nicht genau auf dem Zielwert.
Im Rahmen einer so genannten Prozessfähigkeitsuntersuchung werden solche Abweichungen vom Idealzustand in Beziehung zum Toleranzbereich des betreffenden Merkmals gesetzt. Dabei spielt die Standardabweichung des Merkmals (Buchstabe: σ; gesprochen: Sigma) eine wesentliche Rolle. Sie misst die Streubreite des Merkmals, also wie stark die Merkmalswerte voneinander abweichen.
Je größer die Standardabweichung im Vergleich zur Breite des Toleranzbereichs ist, desto wahrscheinlicher ist eine Überschreitung der Toleranzgrenzen. Ebenso gilt, je weiter sich der Mittelwert vom Zentrum des Toleranzbereichs entfernt (also je näher er an eine der Toleranzgrenzen heranrückt), desto größer der Überschreitungsanteil. Deswegen ist es sinnvoll, den Abstand zwischen dem Mittelwert und der nächstgelegenen Toleranzgrenze in Standardabweichungen zu messen. Dieser Abstand geteilt durch 3 σ ist der Prozessfähigkeitsindex Cpk; es gilt also Cpk = 1, wenn der Mittelwert 3 σ von der nächstgelegenen Toleranzgrenze entfernt ist.
Der Name „Six Sigma“ kommt nun daher, dass bei Six Sigma die Forderung erhoben wird, dass die nächstgelegene Toleranzgrenze mindestens sechs Standardabweichungen (6σ, englisch ausgesprochen „Six Sigma“) vom Mittelwert entfernt liegen soll („Six-Sigma-Level“, Cpk = 2).[8] Nur wenn diese Forderung erfüllt ist, kann man davon ausgehen, dass praktisch eine „Nullfehlerproduktion“ erzielt wird, die Toleranzgrenzen also so gut wie nie überschritten werden.
Bei der Berechnung des erwarteten Fehleranteils wird zusätzlich in Betracht gezogen, dass Prozesse in der Praxis, über längere Beobachtungszeiträume gesehen, unvermeidbaren Mittelwertschwankungen ausgesetzt sind. Es wäre also zu optimistisch, davon auszugehen, dass der Abstand zwischen dem Mittelwert und der kritischen Toleranzgrenze immer konstant 6 Standardabweichungen betragen würde. Basierend auf Praxisbeobachtungen hat es sich im Rahmen von Six Sigma eingebürgert, eine langfristige Mittelwertverschiebung um 1,5 Standardabweichungen einzukalkulieren. Wenn eine solche Mittelwertverschiebung tatsächlich eintreten sollte, wäre der Mittelwert also statt 6 nur noch 4,5 σ von der nächstgelegenen Toleranzgrenze entfernt.[8]
Deswegen wird der Überschreitungsanteil für den „6-σ-Level“ mit 3,4 DPMO (Defects Per Million Opportunities, d. h. Fehlern pro Million Fehlermöglichkeiten) angegeben. Dies entspricht bei dem häufigsten Verteilungstyp, der Normalverteilung, der Wahrscheinlichkeit, dass ein Wert auftritt, der auf der Seite mit der nächstgelegenen Toleranzgrenze um mindestens 4,5 Standardabweichungen vom Mittelwert abweicht und somit die Toleranzgrenze überschreitet.[8] Die nachfolgende Tabelle[9][10] nennt DPMO-Werte für verschiedene Sigma-Level; alle diese Werte kalkulieren die erwähnte Mittelwertverschiebung um 1,5 σ ein. Der für 3 σ angegebene DPMO-Wert entspricht also zum Beispiel dem einseitigen Überschreitungsanteil für 1,5 σ, der für 4 σ entspricht dem einseitigen Überschreitungsanteil für 2,5 σ, usw.
Sigma level | DPMO | fehlerhaft % | fehlerfrei % | Kurzfristiger Cpk | Langfristiger Cpk |
---|---|---|---|---|---|
1 | 691.462 | 69 % | 31 % | 0,33 | –0,17 |
2 | 308.538 | 31 % | 69 % | 0,67 | 0,17 |
3 | 66.807 | 6,7 % | 93,3 % | 1,00 | 0,5 |
4 | 6.210 | 0,62 % | 99,38 % | 1,33 | 0,83 |
5 | 233 | 0,023 % | 99,977 % | 1,67 | 1,17 |
6 | 3,4 | 0,00034 % | 99,99966 % | 2,00 | 1,5 |
7 | 0,019 | 0,0000019 % | 99,9999981 % | 2,33 | 1,83 |
Die Fachliteratur nennt viele kritische Erfolgsfaktoren, die nachfolgend gelistet sind:[11]
Six Sigma wird ausschließlich in Form von Projekten umgesetzt. Die Resultate eines Six-Sigma-Programms sind vom Ergebnis der einzelnen Projekte abhängig. Daher müssen der Auswahl und der konkreten Projektarbeit besondere Beachtung geschenkt werden. Die direkte Verantwortung für die Projektergebnisse liegt beim Prozesseigner.[12] Aufgrund dessen ist eine sorgfältige Projektauswahl entscheidend.
Folgende Erfolgsregeln/-faktoren für die Projekte können genannt werden:
Aus einer Befragung geht folgende Rangliste für die Auswahlkriterien von Six Sigma Projekten hervor:[13]
Einer der häufigsten Gründe bei Fehlschlägen von Six Sigma Projekten ist die Auswahl der falschen Projekte.
In den letzten Jahren werden immer häufiger Six-Sigma-Projekte auch in der Finanzindustrie umgesetzt. In der Finanzindustrie gibt es eine Vielzahl von Prozessen (z. B. die Preisfestlegung von Finanzinstrumenten), für die es unverzichtbar ist, dass sie zügig und fehlerfrei ablaufen. Ist diese Fehlerfreiheit nicht gewährleistet, entstehen rasch unangenehme Konsequenzen mit hohen Folgekosten (z. B. hohe Steuerrückforderungen). Gerade Fehler bei der Stammdaten- und Marktdatenversorgung (z. B. eine fehlerhafte Kursversorgung) können schnell unerwünschte direkte und indirekte Folgekosten verursachen. Mögliche Auswirkungen wären zum Beispiel hängende Orders im System, eine falsche Preisberechnung oder Fehler im Reporting. Im Rahmen eines Six Sigma Projektes können die Ursachen solcher Probleme identifiziert und messbar gemacht werden. Es können individuelle Lösungsansätze entwickelt werden, die zu einer Prozessoptimierung führen.[14]
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